Whistleblower : Enthüller

Wieder macht ein ‚Whistleblower‘ Schlagzeilen: der IT-Spezialist Edward Snowden, der ein geheimes Programm der „Nationalen Sicherheitsbehörde“ (National Security Agency) der USA zur weltweiten Ausspähung persönlicher Daten, d.h. zur nahezu totalen Überwachung digitaler Kommunikation, enthüllt hat. Aus Sicht der US-Behörden ist er ein Staatsfeind, in der internationalen Öffentlichkeit aber wird er als Hoffnungsträger betrachtet. Es ist diese gegensätzliche Wertung, die den Begriff des ‚Whistleblower‘ so wirkungsvoll und zugleich schwer übersetzbar macht.

Im Englischen leitet sich das Wort ‚whistle-blower‘ aus ‚to blow the whistle‘ (‚in die Pfeife blasen‘) ab. Gemeint ist eine Pfeife mit hohem durchdringendem Ton (Trillerpfeife), wie sie etwa englische Polizisten früher benutzten, um untereinander auf einen Verbrecher aufmerksam zu machen, oder heute noch Schiedsrichter beim Fußball verwenden, um das Spiel nach Regelverstößen zu unterbrechen (in Wikipedia dt: Whistleblower). Hier geht es also um etwas Unrechtmäßiges oder Regelwidriges, das von ‚Ordnungshütern‘ signalisiert wird.

In den 1970er Jahren tauchte ‚whistle-blower‘ erstmals  in der heute üblichen Bedeutung auf: „eine Person, die amtliche Stellen oder die Öffentlichkeit darüber informiert, dass die Organisation, in der sie beschäftigt ist, etwas Unrechtes oder Ungesetzliches tut“ (Oxford Advanced Learner’s Dictionary). Hier ist der Akteur zwar ein interner Mitarbeiter und kein externer Ordnungshüter, aber die Aufmerksamkeit wird hier wie dort auf etwas Unrechtmäßiges gerichtet. Für solche Enthüllungen, sofern sie im öffentlichen Interesse liegen, gibt es in den USA und anderen Ländern sogar rechtlichen Schutz.

Das Brisante beim ‚Whistleblower‘ Edward Snowden ist aber, dass das enthüllte Überwachungsprogramm zwar von der breiten Öffentlichkeit als unrechtmäßig erkannt, jedoch von staatlicher Sicherheitspolitik rechtlich geschützt wird. ‚Held‘ oder ‚Verräter‘ (hero or traitor) – so wird der Fall in der englisch-amerikanischen Presse diskutiert. Den US-Behörden mag Edward Snowden als Verbrecher gelten, aber auf Menschen wie ihm ruht die Hoffnung einer demokratischen Gesellschaft – so bringt es ein Leitartikel in der Berliner Zeitung (Bommarius 12.6.13) auf den Punkt. Ähnliche Diskussionen weltweit haben andere bekannte Whistleblower wie z.B. Bradley Manning ausgelöst.

Wie können wir dieses widersprüchliche Phänomen im Deutschen wiedergeben? Oft wird der Begriff ‚Informant‘ gebraucht – eine Person, die ihre speziellen Kenntnisse an andere weitergibt. In der Politik ist er allerdings zumeist negativ besetzt und daher keine treffende Entsprechung zu ‚Whistleblower‘ (vgl. Wikipedia dt: Informant). Im Anglizismen-Index steht außer ‚Informant‘ noch ‚Alarmbläser‘, was aber inhaltlich nicht viel sagt. Abwegig hingegen ist der einseitig negative Begriff ‚Nestbeschmutzer‘, der ebenfalls im Zusammenhang mit ‚Whistleblower‘ auftaucht (vgl. Kritik im Neusprechblog). Und wie bezeichnen sich Whistleblower selbst? ‚Hinweisgeber/Skandalaufdecker‘ steht auf der Homepage des deutschen Whistleblower-Netzwerks als Übersetzung. Sie scheint den Sinn des Begriffs am ehesten zu treffen. Doch in der öffentlichen Diskussion um die Enthüllungen von Edward Snowden hat sich inzwischen die Bezeichnung ‚Enthüller‘ durchgesetzt.

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4 Antworten zu Whistleblower : Enthüller

  1. Matthias schreibt:

    „Informant“ ist für mich ganz neutral und schlicht eine menschliche Informationsquelle, deren Identität aus irgendwelchen Gründen nicht genannt wird (manchmal zu deren Schutz und/oder zur Gewährleistung des weiteren Informationsflusses). Ein „Whistleblower“ zeichnet sich dadurch aus, dass er aufgrund einer persönlichen Gewissensentscheidung die Loyalität gegenüber seiner Institution fallweise „kündigt“, unter Preisgabe seiner Identität verheimlichte Informationen anzeigt oder veröffentlicht und die damit verbundenen Nachteile bewusst in Kauf nimmt.

    Auch wenn die „Tat“ häufig gegen geltende Gesetze verstößt, sind es (im Gegensatz zum persönlichen Vorteil) individuell „zwingende“ Gewissensgründe (die nicht notwendigerweise von anderen geteilt werden müssen) und/oder ein überwiegendes öffentliches Interesse an den Informationen, die eine Bestrafung verbieten. Da es im Allgemeinen (und im Besonderen bei Manning oder Snowden) noch keine entsprechenden Gesetze gibt, ist es in der öffentlichen Diskussion vor allem wichtig, dass diese Aspekte stark gemacht werden. Es geht darum, nicht die formale Rechtswidrigkeit der „Tat“ platt zu verneinen, sondern die platte Reduktion des „Falles“ auf die formal-juristische Ebene zu durchbrechen und auf eine „Abwägung der Rechtsgüter“ zu drängen, die sich in Ergänzungen der Rechtsprechung widerspiegeln könnten, wie es sie etwa bei Kriegsdienstverweigerung, Kronzeugenregelung oder bei manchen Fällen von zivilem Ungehorsam ja bereits gibt.

    Schade, dass noch kein passendes deutsches Wort für „Whistleblower“ gefunden wurde. Ein solches Wort ist notwendig, um der Stigmatisierung als „kriminell“ entgegenzuwirken. „Skandalaufdecker“ ist noch am ehesten positiv assoziiert, vernachlässigt allerdings die individuelle Gewissensnot und setzt voraus, dass die Informationen in der veröffentlichten Meinung als skandalös empfunden werden.

  2. Pingback: Big Data – Big Brother? | Forum Sprachkritik und Politik

  3. Sprach-AG schreibt:

    Neu im Sprachlog erschienen: eine aufschlussreiche Erörterung von Anatol Stefanowitsch zu „Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2013: Whistleblower“, mit statistischen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen dem Interesse am Wort Whistleblower und der Person Edward Snowden (http://www.sprachlog.de/2014/01/04/kandidaten-fuer-den-anglizismus-des-jahres-2013-whistleblower).

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